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Das Erbe des Prometheus

Prometheus ist einer der Titanen aus der griechischen Mythologie. Als seine große Tat gilt, dass er den Göttern das Feuer stahl und es den Menschen brachte. Prometheus ist bis heute eine Symbolfigur für den zivilisatorischen Fortschritt, für die Befreiung der Menschheit von religiöser oder politischer Unterdrückung sowie aus den Gewalten der Natur. Die Unterwerfung der Natur mittels der Technik geht zu allererst auf die Bändigung des Feuers zurück. Und das Schmieden von Stahl ist vielleicht das industrielle Verfahren, in dem dies am eindrücklichsten erfolgt.
 
Die Stahlskulpturen, die Georg-Friedrich Wolf in dem Zyklus „Das Erbe des Prometheus“ zusammenfasst, erscheinen oft wie zerbrochene Relikte einer untergegangenen Zivilisation. Andererseits liegen ihnen deutlich sichtbar Industrieprodukte zugrunde. Geborstene Räder, ausgediente Transformatoren oder Propeller werden mit anderen Fundstücken zu teilweise mehrere Meter hohen Objekten zusammen-geschweißt, die wie Monumente eines zu Ende gehenden oder vielerorts bereits vergangenen Zeitalters der Schwerindustrie erscheinen. Auch wenn längliche, spitze Teile immer wieder herausragen, dominiert der Eindruck, dass die Schwerkraft der Erde die Skulpturen herabzuziehen scheint – oder dass sie aus dem Erdreich ausgegraben wurden. 

So wirken diese heroischen „Denkmäler“ wie gefallene Helden – auch Prometheus war ja letztlich einer. Sein „Erbe“ besteht auch darin, dass er für den Diebstahl bestraft und von Zeus an einen Felsen geschmiedet wurde. Der „gefesselte Prometheus“ ist ein häufig aufgegriffenes Motiv in der Kunst und Dichtung – von Aischylos‘ antikem Drama bis zu diversen Darstellungen in der europäischen Malerei und Skulptur.1 Aber auch dem Feuerbringer Prometheus wird immer wieder gehuldigt. So widmete ihm der Komponist Alexander Skrjabin 1910 sein „Poème du Feu“.

Eine heute besonders aktuell erscheinende Interpretation lieferte schon Goethe in der letzten Strophe seines Gedichts „Prometheus“ (1772-1774):

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

Heute, wo menschenähnliche digitale „Klone“ bald vielleicht nicht mehr nur Science-Fiction sind, könnte die „prometheische Scham“, die der Philosoph Günther Anders in den 1950er Jahren diagnostizierte, die ganze Menschheit befallen: sich angesichts der Perfektion seiner technischen Produkte als minderwertig zu empfinden.2   

Diesem Gefühl entgegenwirken kann vor allem die Kunst, wenn sie die technische Perfektion ähnlich bändigt wie das Feuer. So lassen sich Georg-Friedrich Wolfs „gefallene Helden“ auch als Allegorien auf einen unheilvollen technischen Perfektionswahn lesen. 

1 Eine seit 2001 aufgebaute Datenbank für kunsthistorisches Abbildungsmaterial heißt prometheus-Bildarchiv (https://prometheus-bildarchiv.de).

2 Siehe: Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956, S. 21 ff.